Wickrath - Das mittelalterliche Dorf

Luftaufnahme 1930
Luftaufnahme 1930
Zur Freiheit Wickrath gehörte im Mittelalter nur der Bezirk um Burg und Kirche

Die mittelalterliche Siedlung ist zwischen dem Antoniushügel mit der spätestens seit dem XIII. Jahrhundert bestehenden Kirche und der Burg, vermutlich im Bereich des jetzt als Gasthof dienenden Landstallmeisterhauses zu lokalisieren, 1338 als wonyngen und huysen, die voir der borch liggen umbtrynt die kirspelskircke beschrieben.

Östlich und unterhalb der Kirche erfolgte die wahrscheinlich planmäßige Anlage eines fast rechtwinkligen Marktes, der vor Mitte XVI. Jh. durch den Bau des Gerichtshauses und durch spätere Zubauten verkleinert wurde (Weinhaus). Über den Markt verlief von Süd nach Nordwest der Weg von Beckrath nach Rheindahen. Der Markt ist vielleicht im Zusammenhang mit der Marktrechtsverleihung im XV. Jh. entstanden. Der Ausbau der Siedlung war im Südosten durch die Burganlage und im Süden durch Weiher begrenzt. Nördlich der Kirche wurde ab dem XV. Jh. das Kreuzherrenkloster mit großem Garten westlich des Klosters errichtet, die Bleiche nordöstlich der Kirche. Ab 1724 Erweiterung des Fleckens im Norden jenseits der Oberen Pforte, parallel zur Schlossallee (Trompeteralle); bis 1769 erfolgte die Anlage von 23 Hausplätzen, Neustadt, genannt, heute Quadtstrasse.
(Rhein.Städteatlas IV Nr.24,bearb.von Wolfgang Löhr, 2.Aufl.,Köln/Bonn 1998)
 
Die totale Zerstörung des Ortskern von Wickrath und das Abbaggern der noch stehen gebliebenen alten Häuser am Markt, nahm den Menschen die letzte Vorstellung, wie das Dorf Wickrath in den Ursprüngen einmal ausgesehen hat.

Wickrath hatte um 1700 etwa 60 Häuser und ca. 300 Einwohner. Der größte Teil der Häuser gruppierten sich um den Antonius-Hügel mit der Basilika und den Marktplatz.

Der Kaiser verlieh Wickrath im Jahre 1488 das Marktrecht. Zweimal im Jahr, am 30. Oktober und am Mittwoch nach halb fasten, durfte in Wickrath ein freier Jahrmarkt abgehalten werden. Kaufleute aus der näheren und weiteren Umgebung boten ihre Ware an, allerhand fahrendes Volk sorgte für Belustigung und Vergnügen.

Am Marktplatz standen auch die Herberge und das vom Landesherren verpachtete Weinhaus. Beim Abbruch des Weinhauses fand man ein altes Ankreide-Buch, in dem die „Latten“ der durstigen Wickrather verzeichnet waren.

Postkarte, Druck B.Kühlen, M.Gladbach
Postkarte, Druck B.Kühlen, M.Gladbach

Am Marktplatz wohnten mehrere Beamte des Reichsgrafen und angesehene Bürger des Ortes. In dem Eckhaus an der Hauptstraße, der ehemaligen Gaststätte Sänger, wohnte gegen Ende des 1700 Jahrhunderts der Vogt und Lehens-Statthalter des Reichsherrn von Quadt zu Wickrath, Franz Grambusch, nach ihm sein Sohn Wilhelm Gottfried Grambusch, dann dessen Bruder Johannes Grambusch, der den Titel „beider Rechten Licentiatus, Königlich Preußischer Hofrat und beider Reichsherrschaften, Wickrath und Schwanenberg, Vogt und Statthalter“ führte. 

Links, Sicht auf die Schaumburggasse nach dem Bombenangriff – rechts das Haus von Franz Schaumburg

Eine bedeutende Persönlichkeit Alt Wickraths war auch der Amtmann Franz Schaumburg, von 1779 bis 1793 Justizamtmann der freien Herrschaft Wickrath und Schwanenberg und von 1814 bis 1816 Bürgermeister von Wickrath. Die Schaumburggasse war nach ihm benannt. Er wohnte im Haus, das jetzt der Familie Pongs gehört.

Das "Kleene Bröckske"
Haus Friseurmeister Houben

Links im Eckhaus, hinter der Litfaßsäule, wohnte der Friseurmeister Huben, genannt Huben Richard, „drei Schuss zehn Pfennig“ – er stand nämlich während der Kirmes in seiner Schießbude.
Das im Volksmund genannte„Kleene Bröckske“ führte an der fast rechteckigen Krümmung der Niers, von der Odenkirchener Straße aus, heute etwa in Höhe von Optik Schmohl, in die Schlossallee. Im Hintergrund das Fachwerkhaus der Familie Sackermann, die Inhaber einer Färberei waren. 

Die Bilder zeigen die enge Bebauung des alten Wickrath. Man wohnte dicht beieinander und hatte sicher ein anderes Nachbarschaftsverhältnis als in der heutigen Zeit. (Foto links: Josef Sieg - Zeitzeuge)

Wickrath vor dem Krieg, außerhalb der Stadtmauer. Man sieht die dicht an die Kirche gebauten alten Häuser und den Friedhof. Im Umland ist noch Landwirtschaft möglich. Foto: Josef Sieg

Der Ausschnitt aus der Luftaufnahme zeigt kleine Schrebergärten vor der westlichen Schlossvorburg. Der vorher dort befindliche Schlossweiher war versumpft, bis er zur Eurogo 2002 vom Schlamm befreit wurde und das heutige Bild zeigt.

Es gibt heute noch Zeitzeugen, die als Kind, vor der Neugestaltung der Wickrather Ortsmitte bis in das Jahr 1958, in diesen Häusern gelebt haben. Danach begann der Abriss der alten kleinen Bürgerhäuser.

Aus einem Zeitungsbericht: „Mit dem Abbruch dieser Häuser verliert Wickrath die letzten Reste seines altertümlichen Gepräges. Das Kreuzherrenkloster und die alte Vorburg des Wickrather Schlosses sind die einzigen Baudenkmäler, die die Erinnerung an die Alte „Freiheit Wickrath“ lebendig halten. Alle anderen verträumten Winkel sind Opfer des Krieges geworden, ihre Reste mussten der Neugestaltung des Ortsbildes weichen. Nach der Neugestaltung gehört Alt-Wickrath der Vergangenheit an. Der Ausbau und die Anlage der Straßenzüge werden den Anforderungen eines aufstrebenden Industrieortes entsprechen.“

Die am häufigsten auftretende mittelalterliche Dorfform war das Haufendorf

Ein Haufendorf ist ein geschlossen bebautes Dorf mit unregelmäßigen Grundstücksgrundrissen und häufig unterschiedlich großen Gehöften, oft von einer Stadtmauer umgeben. Haufendörfer unterscheiden sich von den meisten anderen Dorfformen dadurch, dass sie zum Teil wie willkürlich, angelegt wurden. Der Mittelpunkt war in vielen Fällen der Dorfteich. Ein großer Teil der Haufendörfer entstand im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Gewanneflur. Diese war die Einteilung der Ackerflur eines Dorfs in meist drei Abschnitte, die Gewanne. Dem Flurzwang unterliegend, erfolgte die Bewirtschaftung nach der Dreifelderwirtschaft. Mit dem Übergang zur Fruchtwechselwirtschaft um 1800 und der Aufhebung des Flurzwangs verlor die Gewanneinteilung ihre Bedeutung.

Die Gemarkung solcher Dörfer gliederte sich in Dorfkern, Ackerflur und Allmende. Unter Allmende verstand man größere Nutzflächen und Ressourcen (Naturstücke wie Wissensbestände). Diese Flächen waren im Besitz einer gesamten Dorfgemeinschaft und lagen innerhalb der Grenzen eines Dorfes.

So mussten alle Bauern eines Dorfes eine strenge Flurordnung (Flurzwang), in dem die Zeit des Säens und des Erntens genau festgelegt war, beachten. Das abgeerntete Ackerland und die Stoppelwiesen wurden von allen gemeinsam für das Dorfvieh genutzt.

Noch in den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts hatten Bauern mit einem größeren Gehöft, die sich Pferde leisten konnten, ein höheres Ansehen, als kleine Bauern, die sich für den Ackerbau mit Kühen begnügen mussten. (Quelle Wikipedia)

Stadt, Land, Wandel: Vom Niedergang der Dörfer

Stand: 04.03.2023 

Mit der Flurbereinigung ab Mitte der 50er-Jahre und dem Strukturwandel in der Landwirtschaft verschwanden kleine Höfe, Läden, Gaststätten - und die Jugend. Das Dorf galt zunehmend als rückständig.

Über Jahrhunderte war das Dorf Lebensmittelpunkt der meisten Menschen. In den 1960er Jahren änderte sich das massiv: Aus lebendigen Gemeinden wurden sogenannte Schlafdörfer. Menschen pendelten zum Arbeiten in die Städte oder zogen ganz fort, Läden und Gehöfte wurden verlassen. (www.ndr.de )

Die Geschichte von Wickrath entwickelte sich weiter. Das Handwerk und der Handel machte die Dorfbewohner eigenständiger und freier. Industriebetriebe wurden ansässig, Lederfabrikation, Weberei und Textilindustrie. Der Einfluss der Bauern nahm stetig ab. Die Äcker wurden angekauft, um Häuser und soziale Einrichtungen zu bauen. Die Bauern erwarben Ländereien außerhalb der Stadtmauern. Das wurde in Wickrath durch die Zerstörung des Dorfzentrums zwangsläufig eine Notwendigkeit. Die letzten Höfe fanden außerhalb des Zentrums genügend Raum, um Landwirtschaft zu betreiben. Jetzt, fast 80 Jahre nach dem Krieg hat sich Wickrath erweitert und der letzte Bauer hat sein Land veräußert und Wohnhäuser wurden darauf gebaut.

Unser Wickrath 1906

Heimatliebe, Heimatsinn, Heimatverbundenheit, sie stehen derzeitig hoch im Kurs.1906 schrieb Joseph Husmann, Oberpfarrer an St. Antonius, über Wickrath. 1907 wurde sein Manuskript gedruckt und an die Bevölkerung verteilt. 

Nicht ragt hier ein Berg
in die Wolken hinein,
nicht birgt hier Erde, manch köstlich Gestein,
nicht rauscht dir zu Füßen
ein mächtiger Strom,
nicht reckt sich empor ein gewaltiger Dom:
Doch bist du mir teuer, in dir ja ich fand,
die Stätte der Kindheit, mein Heimatland.
Durch Äcker und Wiesen,
durch Weiden und Bruch 
fließt ruhig dir Niers nur,
doch uns war`s genug,
uns munteren Knaben mit fröhlichem Sinn,
zum Jagen und Springen daher und dahin.
O selige Zeit, wo ich spielte am Rand
des Flusses der Jugend im Heimatland.
 
Wie Krieger gereiht, ein gewaltiger Troß,
umrauschen die Linden
noch immer das Schloß.
Sie träumen von Wickraths vergangener Zeit,
Von Rittern, die zogen zu blutigem Streit. Sie flüstern von Grafen, die weihin genannt,
Sie waren dein Ruhm, o mein Heimatland.
Verklungene Tage, nun anders die Welt,
es rauscht aus Fabriken zum Himmelszelt.
Es schaffen und spinnen und weben darin,
viel fleißige Hände mit ernstem Bemühn.
Sie schaffen uns Brot, 
und sie machen bekannt,
dich weit in der Ferne, mein Heimatland.
Drum freu`ich mich deiner 
und bist du auch klein, 
du wuchsest mir doch in die Seele hinein,
Und Grafen und Mönche, und Fluß und Fabrik
verkünden der Nachwelt dein wechselnd Geschick. 
Gott schirme auch ferner, mit kräftiger Hand,
die deinen und dich, o mein Vaterland!

Lammersdorf, alte Postkarte Wickrath, Lindenplatz vor dem Krieg

Das historische Foto aus Lammersdorf brachte mich auf den Gedanken, auf dem Lindenplatz wäre eine Pferdetränke gewesen, vor allem deshalb, weil es heute dort einen Pferdebrunnen gibt. Die Bestätigung fand ich in der Einweihungsrede von Kurt Jacobi aus dem Jahre 1985.

21.09.1985 - Es gibt sicher ältere Menschen in Wickrath, die sich an das erste „Brunnenfest“ und an die Einweihung des Pferdebrunnens erinnern. In Anwesenheit von einigen hundert Gästen nahm der damalige Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins, Kurt Jacobi, die feierliche Enthüllung des von dem Berverather Künstler Michael Franke geschaffenen Brunnens vor. In seiner Rede erwähnte er den Namen „Op de Dränk“, als frühere Bezeichnung des Lindenplatzes, wo Jahrhunderte lang die Tränke für die Tiere mit der Trink-Wasserpumpe gestanden hätte.

Im Mittelalter und auch danach hatten die reichen Bauern, die mit Pferden arbeiteten, in vielen Bereichen Vorrang. Ihre Pferde durften als erste an die Tränke. Deshalb ist in Wickrath die Viehtränke wohl als Pferdebrunnen in Erinnerung geblieben.

Bronzegiesserei Butzon & Becker (Kevelaer) 1988 - Foto: W. Marx

Ab wann und wie lange es diese Tränke gegeben hat, kann nicht belegt werden. Vor dem letzten Weltkrieg gab es laut einem Zeitzeugen, auf dem Platz Festivitäten und auch Kirmes-Treiben, wo die Kinder ihren Spaß hatten. Nach der Bombardierung bildete der Platz einen schrecklichen Anblick.

Idylle vor dem Krieg – danach: nur das kleine Mädchen belebt noch die Szene unter den Linden.
Fotos: Anton Kieven / eigener Fundus