(Luftaufnahme Arne Müseler / Wikipedia, CC BY-SA 3.0 de)

Fünf Dörfer gerettet

... die Seelen abgewandert!

Keyenberg an einem Samstag, wo sind die Menschen?
Keyenberg an einem Samstag, wo sind die Menschen? 

Stand: 07.01.2023, 06:00 Uhr

Fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler II werden nun doch nicht abgebaggert. Viele Menschen sind längst weggezogen. Auch für die, die dort noch wohnen, ist das kein Happy End.

Wie auch Keyenberg, wirken die anderen Dörfer, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath, wie Geisterdörfer. Die Bewohner haben ihre Häuser verlassen, die Rollläden sind heruntergelassen und die früher gepflegten Gärten sind verwildert.

Nur wenige Menschen haben Rheinbraun getrotzt und sind in ihrem Dorf geblieben. Eine der wenigen ist Waltraud Kieferndorf. Sie ist erleichtert, dass sie ihr Haus mit großem Garten in Kuckum nicht aufgeben musste. 

"Umsiedlung war ein tagtägliches Thema“, erzählt Waltraud Kieferndorf " eigentlich haben alle darunter gelitten, den Druck nicht ausgehalten, manche sind kurz nach dem Umzug gestorben, wo wir uns ziemlich sicher sind, die sind am gebrochenen Herzen gestorben“. (www.wdr.de)

In Kuckum, Samstag Nachmittag 02. Februar 2024, ebenfalls lautlose Stille 
In Kuckum, Samstag Nachmittag 02. Februar 2024, ebenfalls lautlose Stille 

Wie Waltraud Kieferndorf in Kuckum. kämpfen auch die etwa 170 gebliebenen Bewohner, unter anderen auch Barbara Oberherr in Keyenberg, für eine Neubesiedlung ihres Dorfes.
Barbara Oberherr erzählte mir von ihrem jahrelangen Kampf mit Rheinbraun. Letztendlich hat sie durchgehalten und ihr Eigentum in Keyenberg behalten können. YouTube · Greenpeace Deutschland 

Berverath – dieses kleine alte Dorf, das auf eine lange Geschichte zurückblickt, verliert sein Umland. Der Tagebau kommt dicht an das Dorf heran. Man erreicht die Ortschaft auf einer schmalen Landstraße aus Richtung Kuckum-Unterwestrich. Durch die enge Straße des Dorfes führt entlang der Holzweiler Höfe ein schmaler, bisher nicht ausgebauter Weg nach Holzweiler.

Kapelle zum Hl. Josef (rechtes Bild). Die Kapelle wurde 1909 von Josef Jansen auf  seinem Grundstück gebaut und der Pfarre Keyenberg geschenkt.
Der erste urkundliche Nachweis des Ortes findet sich in den Aufzeichnungen des Klosters Neuwerk im Jahre 1377. Das Dorf hieß zu Anfang „Berveldroide“. In den Folgejahren Berveraht und danach in der heutigen Schreibweise.
(Luftaufnahme Arne Müseler / Wikipedia, CC BY-SA 3.0 de)

Berverath - Adele Grates hat den Hof ihrer Vorfahren zu Beginn dieses Jahres an Rheinbraun verkauft und ist nach Neu-Berverath gezogen. Sie bewohnte zuletzt ihr großes Anwesen allein. Vor dem Haus standen zwei alte Tische, darauf Bücher, Bilder, Fotografien, alte Schallplatten und Haushaltsgegenstände, für jeden zum mitnehmen. Wenn man die lange Geschichte des Grateshofes nachliest, stimmen diese Relikte aus Generationen sehr traurig, ein ganzes Leben wird offenbar! - Ob die Einquartierung der Preußischen Soldaten und der Herr mit der„Melone“ zur Familiengeschichte gehören, konnte ich nicht erfahren. Allein die Qualität der Fotografie reizte mich, sie mitzunehmen - ein Zeitdokument! Facebook - Grateshof 

Heute hat Berverath 90 Einwohner. Das bedeutet, im Gegensatz zu den anderen Dörfern, sind zwei Drittel in ihrem Zuhause geblieben. Von einer Bewohnerin erfuhr ich, dass auch die Landwirte stand gehalten haben.

Das Beispiel “Dorf Morschenich-Alt“ macht Mut

Jetzt gibt es gute Nachrichten zur Wiederbelebung der vom Abbau verschonten fünf Dörfer. Die verbliebenen Bewohner möchten ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Landesregierung NRW, ähnliche Voraussetzungen wie in der Gemeinde Merzenich schaffen.

Morschenich Ortseingang
St. Lambertus zwei Tage nach dem Brand (2023)

Als erstes wird der Turm, das von weitem sichtbare Symbol der abgebrannten, entwidmeten Pfarrkirche St. Lambertus erneuert. Foto: St. Lambertus zwei Tage nach dem Brand (2023) Kilind, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Der Turm ist eingerüstet. „Aktuell ist es Aufgabe der Katholischen Kirche, den Turm wieder herzustellen“, erklärt Merzenichs Bürgermeister Georg Gelhausen (CDU).

Die Kirchen in den Dörfern waren für die Menschen nicht nur ein sichtbares Symbol, sondern vor allen Dingen ein Raum für Gebet und Andacht. Dazu gehörten der Sonntags-Gottesdienst, die Taufe des Kindes, die erste Hl. Kommunion, die Heirat und schließlich ein Requiem für den Verstorbenen. Heute werden Überlegungen, ähnlich wie in Keyenberg angestellt, was machen wir jetzt mit dem „Symbol“? Eine traurige Entwicklung in der katholischen Kirche.

24.02.2024

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat am Donnerstag, 7. Dezember 2023, gemeinsam mit der Gemeinde Merzenich und der RWE Power AG eine Vereinbarung geschlossen, um das Dorf Morschenich-Alt im Rheinischen Revier wiederzubeleben. Morschenich-Alt ist das erste von insgesamt sechs früheren Braunkohle-Dörfern, das im Rahmen des vorzeitigen Kohleausstiegs 2030 wiederbelebt wird. 

Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen ist dafür zuständig, die Dörfer, die vom Bergbau nicht mehr erfasst werden, zu revitalisieren. Dazu gehören neben Morschenich-Alt in Merzenich auch die fünf Dörfer in Erkelenz Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich sowie Berverath. Um den Wiederaufbau und die Zukunftsentwicklung dieser sechs Dörfer im Rheinischen Revier voranzutreiben, sollen Finanzmittel von Bund und Land in Höhe von insgesamt 300 Millionen Euro auf Basis des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvKG) bereitgestellt werden. 

Aus dem Bericht der Landesregierung vom 07. Dezember 2023

Auf der jetzt gekappten Landstraße nach Holzweiler, kurz vor dem Grubenrand in Keyenberg bleibt wohl der Bildstock „Maria am Wege“ erhalten. Die heutige Situation wäre eine Anlass zur Restaurierung der Gebetsstätte. Der Abraumbagger steht kurz vor dem Dorfrand - z.T. mit einer Unterschreitung des vorher festgelegten Mindestabstands. 

Die L12 war die letzte verbliebene Verbindung zwischen den Tagebau-Randdörfern im Norden und im Süden. Auf gut drei Kilometern verband sie Keyenberg mit Holzweiler. Um heute nach Holzweiler zukommen, müssten die Anwohner nach eigenen Angaben einen 14 Kilometer langen Umweg fahren.

In Borschemich pflügt ein Jungbauer zum letzten Mal den Acker seiner Väter und hofft auf eine letzte Maisernte im Jahr 2016. Das Foto zeigt, welch wertvoller Ackerboden verloren geht!

Nach Auffassung des BUND sind die gravierenden Eingriffe in Natur und Landschaft nicht ausgleichbar. So wird z.B. das wertvollste Boden bildende Substrat - der Löß - großflächig abgetragen und kann nur zum Teil wieder bei der Schaffung von Neuböden eingesetzt werden. 

Feuchtgebiete "am Tropf" 

Der Raubbau an unserem Grundwasser hat gravierende Folgen: Nicht nur der natürliche Grundwasserhaushalt wird für Jahrhunderte zerstört, auch die Grundwasser abhängigen Feuchtgebiete werden dauerhaft geschädigt.

Die Gewinnung der Braunkohle im Tagebaubetrieb ist mit einer großflächigen Absenkung des Grundwassers ("Sümpfung") verbunden. Mit "Garzweiler II" wird der Grundwasserlandschaft des Niederrheins - und damit dem wichtigsten Trinkwasserreservegebiet Nordrhein-Westfalens - ein weiterer irreparabler Schaden zugefügt. 

Schon jetzt sind die Schäden durch den Tagebau Garzweiler irreversibel - Trinkwasserbrunnen fallen dauerhaft trocken, Grundwassereinzugsgebiete verändern sich, ganze Grundwasserlandschaften werden zerstört.
Besonders verheerend: Im Absenkungs-Bereich des Tagebaus Garzweiler liegt der Internationale Naturpark Maas-Schwalm-Nette. Diesem einzigartigen Ökosystem, das als FFH-Gebiet unter dem ausdrücklichen Schutz des europäischen Naturschutzrechts steht, wird buchstäblich das Wasser abgegraben.

Durch “Garzweiler II” wurde der Naturpark endgültig zu einem Feuchtgebiet “am Tropf”: Über lange Zeit nach Bergbau-Ende hinweg sollen künstliche Grundwasseranreicherungen dessen ökologische Substanz bewahren. Im Jahr 2021 wurden so 80 Mio. m3 so gen. "Ökowasser" (= aufbereitetes Sümpfungswasser) für die Feuchtgebiete verwendet. Niemand kann sicher prognostizieren, welche ökologischen Folgen dieser Eingriff zukünftig haben wird.

Erst in Jahrzehnten wird das riesige Loch des Braunkohleabbaus mit Wasser gefüllt sein
Erst in Jahrzehnten wird das riesige Loch des Braunkohleabbaus mit Wasser gefüllt sein

Mit dem vorzeitigen Ende des Tagebaus 2030 wird die Frage nach Ersatzwasserlieferungen noch drängender. Wenn das Sümpfungswasser aus dem Tagebau nicht mehr zur Verfügung steht, kann allein aus dem Rhein für Wassernachschub gesorgt werden. Dazu - und zur Befüllung des Restlochs - wird eine Rheinwassertransportleitung geplant. (BUND Landesverband Nordrheinwestfalen)

Fotos: Werner Marx